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Ein Kino für alle

Anforderungen Schwerhöriger und Ertaubter an barrierefreie Kinos

Alles wird smart. Deshalb empfinden viele Verantwortliche für Bauprojekte den Druck, jetzt und sofort handeln zu müssen, um für die Zukunft wettbewerbsfähig aufgestellt zu sein. Zugleich ist es fast unmöglich, sich ein wirklich fundiertes Gesamtbild zu verschaffen. Unsere Kollegin Cornelia Zolghadri aus dem Beratungsbereich Hochbau ist der Frage nachgegangen. So hat sie sich auch mit Klaus Mourgues vom Bund der Schwerhörigen e.V. Hamburg (BdS) ausgetauscht. Thema des Gesprächs: das „perfekte Kino von morgen“.

Einfach mal ins Kino gehen – kein Problem, oder? Für Schwerhörige und Ertaubte ist das nicht so leicht. Ihre Bedarfe an die bauliche und technische Ausstattung von Kinos sind meist noch nicht erfüllt. Diese Anforderungen sollten Kinobetreibende insbesondere bei Um- und Neubauten unbedingt mitdenken. Denn Teilhabe für alle bedeutet eben auch, dass Kulturangebote für alle Menschen gleichermaßen zugänglich und erlebbar sind.

Cornelia Zolghadri (CZ): Lieber Herr Mourgues, Bauleute müssen heute Entscheidungen für Morgen treffen und definieren Jahre im Voraus, was ausgeschrieben und dann später gebaut wird. Planer*innen brauchen also heute Antworten, um jetzt und in Zukunft nachhaltig barrierefrei zu bauen. Wenn ich mit Planenden oder Betreiber*innen über das Thema Kino und Schwerhörigkeit spreche, stehen immer zwei Fragen im Raum. Erstens: Sind Induktionsanlagen in Zeiten von Bluetooth-Technik überhaupt noch zukunftsfähig? Und zweitens: Es gibt doch mittlerweile Apps, die eine Untertitelung von Kinofilmen auf dem eigenen Smartphone ermöglichen. Reicht das nicht?

Klaus Mourgues (KM): Ja, das Argument taucht immer wieder auf. Darauf gibt es aber eine ganz klare Antwort: Nein, das reicht nicht. Diese Apps sind eine Notlösung, aber keine Alternative zu integrierten Untertiteln, guter technischer Ausrüstung sowie moderner und gut geplanter Induktionstechnik. Diese Dinge brauchen Schwerhörige und Ertaubte einfach für ein gutes Kinoerlebnis.

CZ: Es ist sicher anstrengend, den Untertiteln auf dem kleinen Display eines Smartphones parallel zu dem Geschehen auf der Kinoleinwand zu folgen, oder?

KM: Das stimmt. Noch dazu fühlen sich andere Kinobesucher*innen häufig von den hell leuchtenden Smartphones gestört. Mal ganz abgesehen davon, dass das Angebot an aktuellen untertitelten Filmen in diesen Apps ziemlich begrenzt ist.

CZ: In einem „Kino für alle“ sollte es also auf jeden Fall Untertitel auf der großen Leinwand geben?

KM: Ich spreche hier ja für die Schwerhörigen und Ertaubten. Das Ablesen vom Mundbild unterstützt zwar das Resthörvermögen; es reicht aber nicht, da man so nur ein Drittel der Informationen mitbekommt. Schnell kommt es zu Verwechselungen zwischen Mundbild und Wortbedeutung – so können gravierende Missverständnisse entstehen. Auch schlechte oder spiegelnde Lichtverhältnisse in Räumen und in Filmen erschweren das Ablesen vom Mundbild. Für uns sind Untertitel deshalb sehr wichtig. Erst wenn alle Filme in allen Kinos mit Untertiteln gezeigt werden, dann können wir barrierefrei aus dem Angebot der Kinos wählen. Davon sind wir noch weit entfernt.

CZ: Welche Barrieren gibt es bei der Kommunikation?

KM: Zugegeben, das Thema ist komplex. Die meisten gehörlosen Menschen empfinden die Gebärdensprache als ihre Muttersprache und wünschen sich in möglichst vielen kommunikativen Situationen die Assistenz von Gebärdensprachdolmetschern. Aber die allermeisten schwerhörigen, spätertaubten und altersschwerhörigen Menschen sind ja nicht gebärdensprachkompetent. Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit eigener Grammatik. Man muss sie wie eine neue Sprache erst erlernen. Die meisten schwerhörigen und ertaubten Menschen kommunizieren in der für sie gewohnten Lautsprache. Einigen Schwerhörigen und Ertaubten ist mit unterstützenden, die Lautsprache begleitenden Gebärden geholfen, aber eben längst nicht allen.

CZ: Und was bedeutet das für das „Kino von morgen“?

KM: Das perfekte Kino von morgen soll natürlich beide Bedürfnisse mitdenken. Das nach Gebärdensprachdolmetschung und das nach technischer Unterstützung sowie Untertiteln.

CZ: Kommen wir zu den baulichen Anforderungen: Bei meinen Beratungen frage ich für den Bereich Hören grundsätzlich die akustische Ausstattung von Gebäuden ab. Dazu gehören z.B. Schallreflexionen an Wand-Decke-Boden, mögliche Störgeräusche, Akustikdecken oder Schallabsorber, Induktionsanlagen oder ob neben dem akustischen Notruf auch an visuelle Notruf- und Alarmsysteme für schwerhörige, ertaubte oder taube Menschen gedacht wurde.

KM: Ja, das ist alles grundlegend wichtig. Darüber sind wir ja schon länger im Austausch.

CZ: Wer nicht selbst betroffen ist, kann nur schwer nachvollziehen, wie das ist, mit technischer Hörunterstützung zu hören. Erklären Sie uns bitte, warum Induktionsschleifen so wichtig für Sie sind?

KM: Viele Schwerhörige und Ertaubte nutzen technische Hilfsmittel wie Hörgeräte oder Cochlea-Implantate (CI), teilweise mit Zubehör. Die modernen Geräte sind zwar mit Bluetooth kompatibel, das ersetzt aber nicht eine gute Ausstattung von Innenräumen mit Induktionsschleifen. Der Klang bei guten Induktionsschleifen ist meistens besser als bei Bluetooth-Geräten. Außerdem haben Induktionsschleifen in großen Räumen eine bessere Reichweite. Bluetooth-Geräte können mal ausfallen. Dasselbe gilt auch für Smartphones. Dazu kommt: Viele Hörgeräte- und CI-Träger*innen können sich teure Bluetooth-Geräte nicht leisten. Und gerade ältere Menschen oder Kinder kommen mit der neueren Technik häufig nicht so gut zurecht.

CZ: Sind Bluetooth-Geräte und Untertitelungs-Apps also nur ein technischer Hype?

KM: Alles, was uns Stand heute eigentlich besser teilhaben lässt, ist kein Hype, sondern gehört zum Entwicklungsprozess von Teilhabe-Möglichkeiten. Wir wünschen uns allerdings, dass Planende, Filmindustrie und Betreibende unsere Teilhabe-Möglichkeiten weiter verbessern. Apps können als Ergänzung, nicht aber als Ersatz für baulich vorhandene Hörunterstützung gesehen werden.

CZ: Zum Schluss und als Ausblick in die Zukunft ganz konkret nachgefragt: Welche technische Infrastruktur sollte ein Kinobetreiber schon heute im Bestand vorsehen und bei Sanierungen und Umbauten einplanen, damit er in Zukunft (z.B. im Jahre 2023 und natürlich darüber hinaus) barrierefrei und damit wettbewerbsfähig bleibt?

KM: Jeden Film mit Untertitel versehen, moderne Induktionstechnik und gut geplanter Schallschutz in allen Räumen, gute Beleuchtung und induktionsfähige Mikrofonanlagen in Kassen- und Servicebereichen, Alarm- und Notrufsysteme mindestens nach dem Zwei-Sinne-Prinzip (sehen, hören und/oder tasten) in Räumen und Aufzügen, einen Duo-Arbeitsplatz für zwei Schriftdolmetscher*innen (zum Beispiel für Premieren, Live-Veranstaltungen) seitlich der Kinoleinwand mit Tisch und Technikanschlüssen sowie einer guten Arbeitsflächenbeleuchtung und Gesichtsausleuchtung von sprechenden oder gebärdenden Personen. Auch sehr wichtig: Reservierungen für Kinokarten müssen barrierefrei online, per E-Mail oder per Fax möglich sein und nicht nur per Telefon!

CZ: Herr Mourgues, ganz herzlichen Dank! Sie haben uns einen wichtigen Einblick in die Welt des Hörens mit Schwerhörigkeit und Ertaubung ermöglicht und uns allen viele hilfreiche Tipps gegeben. Insbesondere der Bauwelt und denen, die heute im Sinne der Barrierefreiheit beraten und planen.


Dieser Fachartikel entstand in Kooperation mit dem Bund der Schwerhörigen e.V.

 

Kontakt / Hochbau:

Dipl.-Ing. Cornelia Zolghadri
040 8 55 99 20-25
c.zolghadri@kompetent-barrierefrei.de

Cornelia Zolghadri, Hochbau, Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg