Zum Inhalt springen

ACR, VPAT oder: Ist Microsoft Excel barrierefrei?

Das Problem

Stellen Sie sich vor: Sie sollen für Ihr Unternehmen eine Software erwerben, sagen wir mal: eine Tabellenkalkulation. Vermutlich stoßen Sie im Laufe dieser Entscheidung auf Microsoft Excel und fragen sich: Ist das überhaupt barrierefrei? Sie suchen nach Informationen und stolpern über ein ACR. Und nun?

Mal kurz zum Hintergrund

Die Abkürzung ACR steht für „Accessibility Conformance Report“. In Deutsch würden wir etwas sperrig „Bericht über die Anforderungen zur Barrierefreiheit“, oder „Barrierefreiheitskonformitätsbericht“ sagen.

Ein ACR beruht häufig auf einem VPAT®. VPAT® steht für „Voluntary Product Accessibility Template“. Sinngemäß würden wir übersetzen als „Freiwillige Vorlage für die Dokumentation zu Barrierefreiheitsanforderungen für ein Produkt“. Freiwillig/Voluntary bedeutet, dass es sich um einen Vorschlag handelt, wie ein abzugebender Barrierefreiheitskonformitätsbericht aufgebaut sein könnte. Das durch VPAT® vorgeschlagene Format ist im internationalen Raum weit verbreitet, allerdings nicht im deutschsprachigen Bereich.

VPAT® werden vom Information Technology Industry Council (ITI) herausgegeben und kostenlos verfügbar gemacht[1]. Das ITI hat sich die Marke VPAT® schützen lassen. Sofern uns also ein Bericht zur Barrierefreiheit vorliegt, der als Vorlage ein VPAT angibt, sollten wir uns auf Form und Vollständigkeit verlassen können.

VPAT® werden für unterschiedliche technische Standards bzw. Prüfrahmenwerke angeboten: Section 508 (US), WCAG und EN 301549 (EU).

Im deutschsprachigen Raum gibt es natürlich auch Barrierefreiheitskonformitätsberichte, diese basieren aber nicht auf VPAT®. Dies sind z.B. die Prüfberichte, die Prüfinstitutionen nach selbst entwickelten Vorlagen verfassen. Sie sind in der Regel strukturell und inhaltlich nicht besser oder schlechter als ACR nach VPAT®, folgen allerdings keiner übergreifend abgestimmten Form. In der Regel sind sie ebenso geeignet, über die Barrierefreiheit eines digitalen Produktes Auskunft zu geben.

Eine Eigenschaft von VPAT® soll unbedingt erwähnt werden, da es hier leicht zu Missverständnissen kommt: Ein ACR nach VPAT® trifft keine Gesamtaussage zur Barrierefreiheit eines Produktes, er listet nur die Bewertungen zu allen Einzelfragen auf. Vor den Ergebnissen der Teilprüfungen werden die im Bericht betrachteten Standards und ggf. auch die Konformitätsstufen genannt. Diese Nennung sagt nur etwas dazu aus, welcher Prüfbereich abgedeckt wird.  

Das Gesamtergebnis muss immer über die Teilprüfungen ermittelt werden. Dabei gilt, dass zu Teilprüfungen mit dem Ergebnis „Supports“ (erfüllt/unterstützt) und „Not Applicable“ (nicht anwendbar) keine Einwendungen bestehen. Die Bewertung „Does Not Support“ (nicht erfüllt/nicht unterstützt) für Einzelfragen bedeutet eindeutig, dass eine Gesamtaussage zu Barrierefreiheit negativ ausfallen muss.

Obacht bei „Not Evaluated“ (nicht erhoben/nicht überprüft): Nach VPAT®-Definition kann es sich hier nur um Teilprüfungen nach Konformitätsstufe AAA nach WCAG handeln. Zu diesen wären aber Aussagen wünschenswert, wenn z.B. nach BITV § 3 Abs. 4 für wichtige Komponenten „ein höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit“ angestrebt werden soll. Dann besteht nämlich eine gesetzliche Aufforderung, Anforderungen über Konformitätsstufe AA hinaus zumindest in einer Abwägung zu betrachten.

Die Aussage „Partially Supports“ (teilweise erfüllt/teilweise unterstützt) fordert Verantwortliche ggf. zu einer eigenen Einschätzung auf: Ist die Einschränkung relevant, stellt sie im Nutzungskontext eine ernstzunehmende Barriere im Sinne einer Blockade dar, gibt es zumutbare alternative Zugänge zu betroffenen Inhalten und Funktionen?

Zur Anwendung

Als kleine Fingerübung zurück zur einleitenden Frage: Ist Microsoft Excel barrierefrei? Microsoft veröffentlicht zu einer Fülle seiner Produkte ACRs[2], unter anderem auch zu Excel. Betrachten wir den Bericht zu Windows Excel for Microsoft 365 nach EN 301549 vom 14.11.2023 (abgerufen am 18.03.2024). Wie zur Systematik von VPAT® bereits erwähnt: Es wird keine zusammengefasste Gesamtaussage getroffen.

  • Siehe tabellarische Nennung am Anfang der zweiten Seite: Geprüft wird nach WCAG 2.0 und 2.1 Konformitätsstufen A und AA und nach EN 301549 V3.2.1
    EN 301549 V3.2.1 bildet als europäische Norm die WCAG 2.1 bis AA ab, WCAG 2.0 beinhaltet WCAG 2.1. EN 301549 formuliert noch einzelne Anforderungen über WCAG 2.1 hinaus.
  • Alle Teilfragen zu AAA stehen auf „Not Evaluated“, siehe Table 3: Success Criteria, Level AAA. Anforderungen nach WCAG 2.1 AAA werden von WCAG und EN nur informativ genannt, aber nicht gefordert. Insoweit stimmt es, dass der Stand der Konformität nach EN 301549 dokumentiert wird. Das evtl. ein Gesetz ein „höchstmögliches Maß“ für prüfenswert hält, weiß die Norm nicht.
  • Die Bewertung „Does Not Support“ wurde für keine Teilfrage vergeben.
  • Die Bewertung „Partially Supports“ wird für 7 Teilfragen vergeben, schauen wir exemplarisch auf die Aussagen zu „2.1.1 Keyboard (Level A)“
    • “Ink authoring requires a pen, touch, or mouse input. It is not keyboard accessible.”
      “There is limited keyboard support for ActiveX controls and Form Controls. User cannot place a control without the use of the mouse.”
      Es können also keine Freihandelemente, ActiveX- oder Formularsteuerelemente per Tastatur angelegt werden.
      Ist dies im Nutzungskontext der Organisation relevant?
    • “"Go to next table" and "go to previous table" keyboard shortcuts are not supported when a screen reader is running. Commands are still available from the ribbon via "Find and Select".”

Demnach ist der Standardweg, per Tastatur zwischen Arbeitsblättern zu wechseln, bei Nutzung einer Sprachausgabe nicht verfügbar.

Dieses Ergebnis kann nicht nachvollzogen werden, es ergab sich evtl. in einem eng begrenzten Untersuchungssetting. In einer eigenen Prüfung funktionieren sowohl Strg+Bild auf/Strg+Bild ab als auch der Fokuswechsel auf die Tabellenreiter mit F6.

Zu welchem Ergebnis kommen Sie nach Durchsicht des Berichts, vielleicht auch nach einzelnen Gegenproben?

Mein Ergebnis: Die gefundenen Mängel sind relativ gering und der Einsatz des Programms vertretbar. Auf kritische Aspekte wie z.B. geringe Kontraste an einzelnen Stellen, sollte in Schulung und Support hingewiesen werden. Für Gestaltungsoptionen für Dokumente, die nicht gleichberechtigt bedient werden können, sollte eine Warnung ausgesprochen und diese nach Möglichkeit gemieden werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen den Umgang mit ACR nach VPAT® transparenter machen, sodass sie in Entscheidungsprozessen für Sie besser einsetzbar sind. Ich freue mich natürlich über Rückmeldungen und fachlichen Austausch!

 

[1]VPAT - Information Technology Industry Council (itic.org)

[2]Accessibility Conformance Reports | Microsoft Accessibility

Kontakt / Information und Kommunikation:

Wilfried Laudehr
040 8 55 99 20-26
w.laudehr@kompetent-barrierefrei.de

Wilfried Laudehr, Information und Kommunikation, Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg