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Digitale Teilhabe – wie man Bedarfe ermittelt und Lösungen entwickelt (Bericht vom Fachtag Information und Kommunikation)

Digitale Teilhabe ist ein wesentliches Element gesellschaftlicher Teilhabe. Aber welche Bedarfe haben die verschiedenen Nutzergruppen eigentlich? Auf unserem Fachtag am 7. Mai 2025 sind wir der Frage nachgegangen, wie Bedarfe verschiedener Zielgruppen ermittelt und in die Entwicklung von Produkten und digitalen Angeboten eingebunden werden. Denn die Erfahrung zeigt: Neben der Einhaltung von Normen ist die Perspektive von Nutzenden wichtig, um gute Produkte mit hoher Akzeptanz und realem Mehrwert zu gestalten.

Christian Pfromm trägt sein Grußwort vor

Im Fokus der Veranstaltung standen Projekte, in denen durch partizipative Ansätze Verfahren entwickelt wurden, die digitale Teilhabe ermöglichen sollen.

Kai Gliesmann, Geschäftsführer der LAG Hamburg, begrüßte die Teilnehmenden. Dann eröffnete Christian Pfromm, CDO in der Senatskanzlei Hamburg, die Veranstaltung mit einem Grußwort. Er unterstrich, dass digitale Teilhabe ein Recht für alle ist und betonte, dass IT-Sicherheit, Datenschutz und Barrierefreiheit von Anfang an zusammen gedacht werden müssen, denn nur das ist wirklich nachhaltig. 

Unsere Kolleg*innen Wilfried Laudehr und Rebecca Schulz aus dem Fachbereich Information und Kommunikation hatten den Fachtag konzipiert und organisiert. Außerdem führten sie als Moderator*innen durch die Veranstaltung.

Prof. Saerberg bei seinem Vortrag

Digitale Teilhabe im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention

Anschließend sprach Prof. Dr. Siegfried Saerberg (Disability Studies und Teilhabeforschung; Ev. Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie Hamburg) über das Thema Digitaler Zugang im Schattenbericht Hamburg. Der Schattenbericht Hamburg liefert eine aktuelle und kritische Analyse der Behindertenrechtslage in Hamburg und des Landesaktionsplans der Stadt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Er kann online gelesen werden: www.schattenbericht-hamburg.de Professor Saerberg erläuterte, dass die Erreichung digitaler Teilhabe nicht als Zustand, sondern als Prozess verstanden werden muss. Teilhabe muss erkämpft werden. Sie kann nur gelingen, wenn Menschen mit Behinderung maßgeblich im Prozess beteiligt werden, und zwar auch unbedingt in den Entscheidungsprozessen! Dafür braucht es einen langen Atem, entsprechende Mittel und einen guten Plan. Barrierefreiheit ist in diesem Prozess eine grundlegende Gelingensvoraussetzung.

Im folgenden Gespräch ergänzten die Teilnehmenden, dass es wichtig ist, auch Menschen mit komplexen Behinderungen zu beteiligen. Schließlich gilt: Was für Menschen mit Behinderung gut zu bedienen ist, ist für alle leichter zu bedienen.

Nicole Rodig und Dominik Hauser bei ihrem Vortrag

Praktische Beispiele aus Hamburg

Nicole Rodig und Dominik Hauser vom Projekt „Digitale Barrierefrei – einfach für alle“ gaben Einblicke in den Testpool für neue Technologien der Hamburger Senatskanzlei. Der Testpool des Projekts besteht aus Menschen, die in der Freien und Hansestadt Hamburg tätig sind, genauso wie aus externen Tester*innen, die Kompetenzen in den Bereichen Sehen, Verstehen, Hören mit Blick auf Barrierefreiheit haben. Die Arbeit wurde am Beispiel von Gebärdensprachvideos mit Avataren präsentiert. In diesem Fall gab es Rückmeldungen der Expert*innen wie: der Avatar spricht zu schnell, Hintergrund unschön, veraltete Gebärden, zu buschige Augenbrauen. Dieses Feedback wurde mit den Herstellern besprochen und die Videos entsprechend angepasst. Nicole Rodig machte deutlich, dass der Grundsatz ihrer Projektarbeit ist, dass das Feedback aus dem Testpool zwingend umgesetzt werden muss. 

Blick von hinten über das Publikum nach vorne, wo dem Publikum zugewandt Rebecca Schulz mit ihren drei Interviewgästen sitzt

Nachfolgend führte Rebecca Schulz aus dem Kompetenzzentrum ein Interview mit Julia Matfelt, Jeremiah Tawiah (beide Peer-Expert*innen) und Ulrike Kubatta (assistierende Begleiterin) von der Gut Gefragt gGmbH Hamburg. Es ging um Peer-Befragungen, das heißt, Menschen mit Behinderungen befragen Menschen mit Behinderungen. Die Idee kommt ursprünglich aus Österreich, und zwar von Menschen mit Behinderungen selbst. Die Teams von Gut Gefragt werden von Einrichtungen in ganz Hamburg gebucht. Bei den Befragungen werden geschlossene Fragen gestellt. Die Peer-Expertinnen führen die Befragungen selbst durch und erfassen auch die Antworten. Peer-Expert*innen durchlaufen eine zweijährige Ausbildung. Gut Gefragt bietet auch Workshops an, wo Auftraggeber mit den Ergebnissen der Befragungen arbeiten können.

Jasmin Aust bei ihrem Vortrag

Jasmin Aust von der Lebenshilfe Hamburg stellte in ihrem Vortrag den Weg zur Leichten Selbsthilfe-App "Glücklich" vor. Diese soll Menschen vor allem mit kognitiven Beeinträchtigungen dabei unterstützen, ihr mentales Wohlbefinden zu fördern. Bei der Entwicklung der App wurden Fokusgruppen eingebunden, die direkt zu den einzelnen (Design-)Elementen der App befragt wurden. Die App nutzt Leichte Sprache, Leichte Bedienung und alle Übungen können auch angehört werden. Sie setzt auf ein klares Design mit wenig Text und vielen gut verständlichen Bildern und Grafiken. Dazu kam aus dem Publikum die Feststellung, dass die vorgestellte App eigentlich doch für alle geeignet sei und der Status als "Sonderlösung" unnötig ist.

Das Ahoi Projekt wird von Herbert Hartung und Richard Messmann vorgestellt.

Beim nächsten Vortrag ging es um die Gestaltung eines barrierefreien On-Demand-Verkehrs in Hamburg-Harburg. Herbert Hartung von New Mobility Solutions Hamburg und Richard Messmann von Innovation Natives stellten das Innovationsprojekt mit Forschungscharakter vor, dessen Inhalt Autonomes Fahren mit einem Teilfokus Barrierefreiheit ist. Innerhalb des Projekts wurde mit Workshops gearbeitet, um die Beteiligung sowie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen; dies bietet den Vorteil, dass auch individualisierte Lösungen für unterschiedliche Bedarfe gefunden werden können. In den Gruppen wurde die sogenannte User Journey/Reisekette betrachtet und besprochen: Welche Hürden gibt es, welche Sorgen gibt es für die zukünftige Nutzung? Wie gestaltet sich das Ganze wohl ohne Fahrer? Aus den Ergebnissen der Workshops sind bereits viele Anforderungen formuliert worden; dabei ging es zunächst vor allem um die digitale Buchung der Fahrt. 

Aus dem Publikum kam die kritische Frage, wie sichergestellt wird, dass Menschen mit Behinderung nicht immer wieder bei 0 anfangen müssen, was die Erklärungen in den Beteiligungsprozessen angeht? Schließlich gibt es technische Standards, die als Mindestanforderung eingehalten werden müssen! Menschen mit Behinderung, die ihre Expertise teilen, müssten dafür auch entlohnt werden. Außerdem wurde angemerkt, dass auch Menschen mit seelischen Behinderungen eingezogen werden sollten, da gerade für diese die Nutzung von ÖPNV schwierig ist.

Wilfried Laudehr und Rebecca Schulz fassen die Ergebnisse zusammen.

Ergebnissicherung und Ausblick

Zum Abschluss fassten Veranstalter*innen Rebecca Schulz und Wilfried Laudehr vom Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg die Ergebnisse und Erkenntnisse des Fachtags zusammen:

  • Augenhöhe – Expert*innen fragen Expert*innen
  • Gefahr der blinden Flecken (“Profitester*innen”)
  • Ansprache der Zielgruppen sehr unterschiedlich
  • Begrenzte Kapazitäten und Gefahr des Betroffenen-“Burnouts“
  • Honorierung / Anerkennung
  • Beteiligung ergänzt die Normeinhaltung: praktische Nutzbarkeit und Ergonomie
  • Frühzeitige Beteiligung sichert Einfluss auf das Produkt
  • Lessons learned / Nachhaltigkeit: Ergebnisse sichern, darauf aufbauen und verfügbar machen

Rund 60 Teilnehmende besuchten den Fachtag – vor Ort oder online. Wir danken allen Referent*innen für ihre Beiträge und den Gästen für ihre aufmerksame Teilnahme sowie ihre Anmerkungen, Anregungen und kritischen Fragen! Genauso freuen wir uns darauf, Ihnen auch nächstes Jahr im Frühjahr einen Fachtag “Information und Kommunikation” mit neuem thematischen Fokus anzubieten.

Bericht: Anna Dobert

Sie haben Interesse an den Präsentationen unserer Vortragenden? Dann schreiben Sie uns gern!

Kontakt / Öffentlichkeitsarbeit:

Anna Dobert
040 8 55 99 20-23
a.dobert@kompetent-barrierefrei.de

Anna Dobert, Öffentlichkeitsarbeit, Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg